Manchmal vergessen wir, wie unterschiedlich Personen in Gesprächssituationen „ticken“. Dann wundern wir uns z. B., wieso der Kollege die Planung erneut bis ins letzte Detail durchgehen möchte oder wieso die Kollegin schon wieder von ihrer Geburtstagsrunde anfängt. Solange es in der Kommunikation keine Probleme gibt, ist alles gut. Sobald aber Unstimmigkeiten auftreten, die Stimmung und die Arbeit leiden, kann es hilfreich sein, mit etwas Abstand auf die Situation zu blicken. Das Riemann-Thomann-Modell bietet so eine Möglichkeit.
Es zeigt, wieso Kommunikation unterschiedlich funktionieren kann. Fritz Riemann und Christoph Thomann, zwei Psychologen bzw. Psychotherapeuten, haben es für zwischenmenschliche Beziehungen entwickelt.
Ich verwende das Modell im Coaching, in der Teamentwicklung oder in der Konfliktklärung. Für die Selbstreflexion ist es ebenfalls hilfreich. Es ist eingängig, leicht zu verstehen und auch schnell zu vermitteln.
Das Riemann-Thomann-Modell mit vier Grundausrichtungen
Das Modell geht von zwei Achsen aus: Nähe und Distanz bilden die Raumachse, Dauer und Wechsel die Zeitachse. So entstehen vier Grundausrichtungen bzw. -bedürfnisse oder Strebungen, wie Riemann und Thomann sie nennen.
- Nähe
- Distanz
- Dauer
- Wechsel
Nähe
Personen, die nach Nähe streben, zeigen in der Kommunikation oft ein offenes, ausgleichendes, mitfühlendes oder verständnisvolles Verhalten. Eine angenehme Arbeitsatmosphäre und ein offenes Ohr sind ihnen wichtig. Oft sind diese Personen vermittelnd, brauchen aber Bestätigung und Anerkennung. Dieses Verhalten kann aber auch ins Negative „umkippen“. Und so erscheinen diese Personen manchmal konfliktscheu, nachtragend und moralisch überlegen.
Distanz
Den Personen, die zu diesem Grundbedürfnis streben, ziehen sich für die Arbeit gerne zurück und arbeiten am liebsten allein. Sie zeigen analytisches Verhalten und betonen ihre Sachlichkeit und Vernunft. Auch dieses Verhalten kann kippen und so erscheinen sie manchmal verschlossen oder arrogant.
Dauer
Personen, die sich in diesem „Kommunikations-Modus“ befinden, zeigen zuverlässiges, strukturiertes und verantwortungsbewusstes Verhalten. Klare Zuständigkeiten, Entscheidungsabläufe und Regeln sind ihnen wichtig. Sie können jedoch auch schnell langweilig, unflexibel und pedantisch erscheinen.
Wechsel
Für diese Menschen sind Abwechslung, Leidenschaft und Kreativität wichtig. Sie erscheinen einfallsreich und innovativ. Sie können sich aber auch egozentrisch, chaotisch oder unordentlich verhalten.
Akzeptanz der Unterschiede
Können Sie sich einsortieren? Falls nicht: kein Problem. Nach Christoph Thomann ist es tatsächlich schwer, sich zu verorten. Eine Person kann sich je nach Kommunikationspartner*in, nach Kontext und aktueller Situation oder Stimmung unterschiedlich verhalten. Und obwohl es manchmal so interpretiert wird, handelt es sich bei diesem Modell NICHT um ein Persönlichkeitsmodell. Das ist wichtig zu wissen, damit es keine Zuschreibungen nach dem Motto gibt: „Du bist immer so …“.
Thomann spricht allerdings von einem Heimatgebiet mit einem Persönlichkeitsschwerpunkt. Ihm ging es mit dem Modell vor allem darum, alle vier Strebungen als gleichwertig zu akzeptieren– bei sich, aber auch bei den anderen – und auf die Wirkungen zu achten. So haben diese Grundbedürfnisse und das entsprechende Kommunikationsverhalten natürlich auch Auswirkungen z. B. auf die Führungsrolle, auf die Teamkommunikation oder auf den Umgang mit Unsicherheiten.
Das Riemann-Thomann-Modell im konkreten Einsatz
Wenn Sie das nächste Mal im Team Spannungen spüren, schlagen Sie das Modell vor. Kleben Sie ein Kreuz mit Kreppband auf den Boden. Moderationskarten dienen der Beschriftung. Erklären Sie kurz das Modell und bitten Sie die Teammitglieder, sich auf dem Kreuz zur aktuellen (!) Situation zu positionieren, also eher bei auf der Position der Nähe, der Distanz, der Dauer oder des Wechsels. Beginnen Sie dann eine Diskussion und einen (wertschätzenden) Austausch über die Unterschiedlichkeiten und Bedürfnisse.